Neele Buchholz ist Tänzerin und Schauspielerin Foto: Hake
BREMEN re ∙ Neele Buchholz spielte schon an der Seite von TV-Stars wie Frederick Lau, sie modelte für eine Werbekampagne und spielt die Hauptrolle in einer Berliner Theaterproduktion, die im Januar 2024 in Bremen zu sehen ist. Das Besondere daran: Die 32-Jährige hat das Down-Syndrom. Ihren Traum von der Schauspielerei und vom Profitanz hat sie sich trotz aller Widerstände erfüllt.
Neele Buchholz sitzt am großen Küchentisch in ihrer inklusiven WG in der Bremer Überseestadt und trinkt einen Kaffee, sie lächelt. Aufregende Wochen liegen hinter ihr. Ein paar Tage zuvor stand sie noch auf der Bühne der Berliner Produktionsstätte „Theater unterm Dach“ und mimte die Ophelia – die Hauptrolle des Stücks „T4. Ophelias Garten“. Für die 32-jährige Schauspielerin eine ganz besondere Erfahrung, denn Neele Buchholz hat das Down-Syndrom.
Mit der deutschen Erstaufführung von Pietro Floridia hat sich die Bremerin thematisch gleich ein hartes Brett vorgenommen: In dem Theaterstück wird die nationalsozialistische Mordaktion T4 seziert. Ophelia, gespielt von Neele Buchholz, versucht mithilfe der Krankenschwester Gertrud (Maja Zećo) Bürokraten und Ärzten zu entgehen, die in der Berliner Tiergartenstraße 4 nach den Maßstäben „ökonomischer Brauchbarkeit“ über Leben und Tod entscheiden. Für Neele Buchholz war das Stück auf der Berliner Bühne nicht die erste Schauspielerfahrung. Aber eine Hauptrolle zu spielen, das war auch für die Bremerin etwas Neues.
Traumberuf Tänzerin
Lange war Neele Buchholz vor allem auf der Tanzbühne zuhause. Bereits mit drei Jahren tanzte sie in einer inklusiven Tanztheatergruppe. Nach der Schule, diversen Praktika im Kindergarten, in der Gastronomie, in Werkstätten und einem Theater wusste sie schon früh: Tanzen möchte sie beruflich machen. Ein ungewöhnlicher Berufswunsch für jemanden mit Down-Syndrom, schließlich war für ihren Berufsberater in der Schule klar: Neele sollte in einer Werkstatt arbeiten. Doch das wollte sie nicht. Sie setzte sich gegen alle Widerstände durch und konnte den Verein Tanzbar Bremen schließlich von einem Experiment überzeugen: eine Festanstellung als Profi-Tänzerin. Unterstützung erhielt sie von ihren Eltern Daniela Buchholz und Lars Gerhardt. Insgesamt acht Jahre wirkte Neele in verschiedenen Tanzproduktionen mit, war in ganz Europa unterwegs.
2015 trat sie im Werbespot „Das erste Mal“ von „Aktion Mensch“ auf, in denen Menschen mit und ohne Behinderung aufeinandertreffen. Zwei Jahre später kam sie das erste Mal so richtig mit der Schauspielerei in Berührung. An der Seite von prominenten Schauspielenden wie David Kross, Emilia Schüle, Axel Stein und Frederick Lau spielte sie eine Nebenrolle im Kinofilm „Simple“. Professionelles Set, bekannte Ferngehgesichter und zum ersten Mal arbeiten für die große Leinwand: „Das war wirklich aufregend“, erinnert sie sich. 2021 folgte eine Anfrage für die sechsteilige ARD-Serie „Eldorado KaDeWe“, in der Neele die 15-Jährige Mücke spielt. „Ich wollte einfach etwas Neues ausprobieren“, sagt sie. „Am Schauspielern gefällt mir die Zusammenarbeit mit den Kollegen, viele von ihnen sind Freunde geworden.“ Neele Buchholz hatte neben dem Tanzen eine neue Leidenschaft gefunden, doch sie merkte schnell, dass sich ihr Interesse an der Schauspielerei nicht mit ihrer Arbeit bei Tanzbar Bremen vereinen ließ – zu zeitintensiv waren die Dreharbeiten.
Von der Festanstellung in die Selbstständigkeit
So klar wie Neele Buchholz sich schon seinerzeit wegen ihres Berufswunsches Tänzerin war, war sie es auch zu dem Zeitpunkt wieder: „Ich möchte eine Firma gründen, da will ich Tanzen und Schauspielern.“ Inzwischen hat die 32-Jährige den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt, arbeitet als freie Tänzerin und Schauspielerin. Darauf ist sie stolz. Für ihre Eltern war es am Anfang nicht ganz einfach, die Entscheidung ihrer Tochter zu akzeptieren: „Als Neele uns gesagt hat, dass sie sich selbstständig machen möchte, sind wir erstmal aus allen Wolken gefallen“, gibt Daniela Buchholz zu. Sie ist es gewohnt, sich an der Seite ihrer Tochter gegen Widerstände durchzusetzen. Denn Neele hatte immer klare Vorstellungen von ihrem Leben und die wichen oftmals von den gewohnten Pfaden für Menschen mit Behinderung ab.
Bürokratische Hürden überwunden
Aber dieses Mal war auch Daniela Buchholz unschlüssig: Eine Festanstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt, das war schon eine Besonderheit für Menschen mit Behinderung – sollte man die so einfach aufgeben? Andererseits hat Neele ein Recht auf Selbstbestimmung, dafür kämpfen sie schließlich selbst. „Und es erfordert Mut, das bewundere ich“, sagt Daniela Buchholz, die inzwischen stolz auf den Schritt ihrer Tochter ist. Mittlerweile bestreitet Neele ihren Lebensunterhalt komplett eigenständig durch ihre Projekte als freie Künstlerin. Trotz vieler bürokratischer Hürden hat die Bremerin, die schon für eine Zalando-Werbekampagne modelte, es geschafft, ihre Idee der Selbstständigkeit umzusetzen.
Ob Tanz oder Schauspiel – auf der Bühne ist Neele Buchholz längst ein Profi. Sie liebt es, vor Publikum aufzutreten. „Vor dem Auftritt bin ich aufgeregt, aber sobald ich auf der Bühne stehe, nicht mehr“, sagt sie. Ihr Beruf bedeutet auch harte Arbeit: regelmäßiges Fitnesstraining, Logopädie, Schauspielunterricht, Tanztraining – die Woche ist gut gefüllt. Wer mit ihr zusammenarbeite, schwärme oft von ihrer Disziplin und ihrer professionellen Herangehensweise, berichtet ihre Mutter. Und die Arbeit mit ihr erfordere von den Beteiligten mitunter, um die Ecke zu denken. Denn Neele Buchholz kann keine Texte über einen längeren Zeitraum auswendig lernen. Bei der Fernsehproduktion „Eldorado KaDeWe“ sah die Lösung so aus: Am Abend ging Neele mit ihrer Mutter die Szenen durch, kurz vor dem jeweiligen Take bekam sie die Texte vorgesagt, die Bremerin spielte, und die Szenen waren im Kasten.
Theaterstück „T4. Ophelias Garten“ kommt nach Bremen
Doch wie sollte das gehen bei einem Theaterstück wie „T4. Ophelias Garten“, das mehr als anderthalb Stunden dauert? Auch hier ließen sich die Verantwortlichen einen Kniff einfallen: Über ihre Hörgeräte bekam Neele die Texte während der Proben ins Ohr gesagt, allmählich lernte sie so die Dialoge auswendig. „Keiner hätte gedacht, dass Neele das Stück so durchspielen kann“, sagt Daniela Buchholz. Wer Neele Buchholz auf der Bühne erleben möchte, hat dazu am 26., 27. und 28. Januar 2024 die Gelegenheit: Die Geschichte um Ophelia kommt nach Bremen und wird im Zentrum für Kunst im Tabakquartier aufgeführt.
Vorbild für Menschen mit und ohne Behinderung
Ob Kindergarten, Schule, Arbeit oder Wohnen: Das Thema Inklusion begleitet Neele Buchholz seit ihrer frühen Kindheit. Mit ihrem ungewöhnlichen Weg sei sie ein Vorbild für viele Menschen mit und ohne Behinderung, sagt ihre Mutter. Neele Buchholz selbst bezeichnet sich gerne als Inklusionspionierin. Zu Recht: Mit ihrer Festanstellung bei Tanzbar Bremen war sie die erste Bremerin mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt, 2019 zog sie in die erste inklusive Wohngemeinschaft Bremens – auch das ein klarer Wunsch von ihr.