Konzentriert arbeiteten die Jugendlichen an ihren Kunstwerken. Zwischendurch blieb immer noch Zeit sich auszutauschen und miteinander zu lachen    Fotos: tw

CUXHAVEN tw ∙ „Ich verdiene das Leben nicht.“ „Ich hasse mich.“ „Warum sind die Influencer so dünn.“ Gezeichnete Aussagen, mit denen die 14-jährige Julie den Perfektionismus anprangert, der durch Influencerinnen und Influencer in den Sozialen Medien zur Schau gestellt werden. „Sie schauen perfekt aus, haben ein perfektes Leben, aber das Leben ist nicht immer perfekt“, sagt sie. Und das führe nicht nur zu trüben Gedanken, sondern auch zu Selbstverletzungen. So hat sie selbst sich schon mal geritzt und weiß von Freundinnen, dass es ihnen ähnlich gehe.
Um diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken, hat sich an der Oberschule Mitte eine Gruppe der Jugendinitiative „Wired Human“ – die sich für Kinder- und Jugendschutz in den Sozialen Medien einsetzt – gegründet, zu der auch Julie gehört. (EWK berichtete in der Ausgabe vom 22. Februar).

Am vergangenen Samstag kamen sie mit anderen Jugendlichen zu einem Kunstworkshop ins Begegnungszentrum „Tante Emma“ um sich mit dem Thema künstlerisch auseinanderzusetzen.
„Beim Zeichnen kann man Dinge ausdrücken, die man nicht sagen kann“, so Malcolm, 17 Jahre. Er ist selbst viel in den Sozialen Medien unterwegs, und weiß aus eigener Erfahrung, dass das, was man dort teilweise erlebt, die mentale Gesundheit beeinflusst. Da er auch gerne malt und zeichnet, kam er gerne zum Workshop, „weil mich das Thema interessiert“.

„Wir bekommen viel Hass im Internet mit, und das in Kunst auszudrücken ist eine tolle Idee, auch weil das Thema schon in der Schule angesprochen wurde“, sagt Svala, 13 Jahre. Auch die 14-jährige Johanna findet das Thema spannend. Und sie hat schon ihre Konsequenzen gezogen: „Tik Tok und Instagram habe ich gelöscht, weil es mich nur noch genervt hat.“
Die 18-jährige Ajaan engagiert sich in der Jugendkoalition, weil sie es wichtig findet, dass die Jugendlichen eine gewisse Kontrolle haben sollten, über das, was sie konsumieren. „Denn die Plattformen nutzen Algorithmen, die mit immer neuen Themen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen „und uns am Bildschirm halten“.

Auch wenn die digitale Welt viel positives biete, sehen sie und ihre Mitstreiter die Schattenseiten. Dinge, die junge Menschen belas­ten, wie etwa Cybermobbing. Das jungen Mädchen von Männern sogenannte „Dickpics (Penisbilder) zugeschickt werden, findet Ajaan verstörend. Das wirke auf junge Mädchen traumatisierend.
Mit ihrem Bild – einem „Herz in Ketten“ – will sie dies sichtbar machen, „weil wir Dinge sehen, die verstören, aber auch schambehaftet sind, und sich so eine Last auf die Brust legt“. Erwachsene und Politiker müssten einen Blick darauf werfen, findet sie. „Und es ist gut, dass wird jetzt gemeinsam daran arbeiten“

Und der Workshop sei ein „Safe Space“, wie auch die 16-jährige Candice findet. „Dass man Emotionen und Belästigungen zeichnerisch rauslassen und darstellen kann und damit auch eine Last von einem fällt, finde ich sehr gut. Man fühlt sich danach besser.“ Sie findet es positiv, dass Jugendliche, die ein Trauma haben, dass erlebte so verarbeiten und damit besser leben können.
Was Gemeinwesenarbeiter Jason Frost – der „Wired Human“ zusammen mit seiner Frau Lisa noch in den USA gegründet hat – wütend macht, ist, dass man im Internet Dinge passieren lasse, „die wir im realen Leben nie akzeptieren würden. Aber über die Sozialen Medien lassen wir sie ins Kinderzimmer rein“. Und das besonders perfide sei, so Schulsozialarbeiter Johannes Gabriel, dass den jungen Menschen noch selbst die Schuld gegeben werde, nach dem Motto „du hast meine App runtergeladen, warst zehn Stunden bei mir, du bist selbst schuld“.
Mit ihrem Engagement wollen alle Beteiligten erreichen, dass Jugendliche im Netz besser geschützt und gehört werden. Ein erster Schritt dazu ist bereits getan. Am 12. Juni kann sich die Gruppe mit ihren Themen und Zielen bei einer landkreisweiten Schulkonferenz vorstellen, freut sich Frost.